The Passageway • The Bone Orchard Mythos

The Passageway stellt mich vor die Herausforderung, nicht mit Superlativen um mich zu werfen. Denn das neueste Werk von Jeff Lemire und Andrea Sorrentino hat mich einfach umgehauen.
Dabei fielen die Kritiken und Bewertungen eher verhalten aus. Bei goodreads.com gab es im Durchschnitt 3.6 Sterne.

Da die Graphic Novel mein Comic des Monats wurde, bin ich wohl anderer Meinung. Aber der Reihe nach, erst einmal etwas Hintergrundwissen.

Teaser Trailer von Image Comics

Hintergrund

The Passageway ist der Auftakt zu einer neuen Horror-Saga von Jeff Lemire und Andrea Sorrentino namens The Bone Orchard Mythos. Teil zwei Ten Thousand Black Feathers soll im September 2022 erscheinen und der dritte und letzte Teil The Tenement leider erst irgendwann 2023.

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Zum diesjährigen amerikanischen Gratis-Comic-Tag (Free Comic Book Day) erschien der 32-Seiten-One-Shot Prelude: Shadow Eater. Leider ist der One-Shot bisher bei keinem mir bekannten Comic-Shop erhältlich.

Die Macher

Die beiden haben von 2018 bis 2020 die sehr erfolgreiche Serie Gideon Falls erschaffen, wofür sie mit zwei Eisner Awards und einer Nominierung belohnt wurden.
Keinesfalls unerwähnt bleiben darf Dave Stewart, der Colorist. Auch er war schon bei Gideon Falls dabei und hat großen Anteil an der optischen Umsetzung beider Werke. Die drei Künstler sind also wieder vereint.

Fragen über Fragen

Die Ästhetik und das Flair, die viele an Gideon Falls mochten, kommt auch bei The Passageway von der ersten Seite an genauso zum Tragen. Es wirkt vertraut und macht neugierig. Aber: Handelt es sich um ein weiteres Meisterwerk oder nur um einen Abklatsch? Wiederholen sich Lemire und Sorrentino oder erschaffen sie etwas Neues?
Diesen Fragen möchte ich nachgehen und versuchen, Antworten zu finden.

Plot

Sal Yandle bewohnt alleine eine kleine Insel, die praktisch nur aus Felsen besteht. Die rüstige ältere Dame betreibt dort einen Leuchtturm. Als sie ein plötzlich entstandenes Loch auf der namenlosen Insel bemerkt, wird John Reed zur Leuchtturminsel geschickt, um es zu untersuchen. Dougie, der Bruder von Sal, bringt John mit seinem Schiff zur Insel.
Schnell wird ihm klar, dass nicht nur das Loch, sondern auch Sal und Dougie mysteriös und geheimnisvoll zu sein scheinen…

Damit nicht genug: John wird auch von Alpträumen geplagt. Diese handeln von seiner Kindheit und seiner Mutter.

”I saw my mother last night. She had the same look on her face … except for her eyes.
Why were her eyes gone? What what took them?
I can’t think about that. I can’t think about what took her eyes.”

Zitat aus The Passageway – The Bone Orchard Mythos

Bis hierhin wirkt die Szenerie wie ein gemächlicher Auftakt a lá Stephen King. Diese Analogie verschwindet jedoch recht plötzlich, als John am zweiten Tag die Untersuchungen am Loch intensiviert. Ab hier drehen Lemire und Sorrentino die Horror-Schraube immer weiter an.

The Passageway - The Bone Orchard Mythos - Beispielseite
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Neu oder alt?

Nun zur Frage, ob uns die Macher einen aufgewärmten Abklatsch präsentieren.
Stil und Flair sind definitiv abgekupfert, aber wieso auch nicht, wenn es zur Story passt.

Mich stört das nicht im Geringsten, im Gegenteil: Ich freue mich, dass ich diesen ungewöhnlichen Stil ein weiteres Mal zu sehen bekomme. Die wiedergewählte Optik passt zum Horror-Setting wie die Lautmalerei zum Comicstrip.
Erzählerisch geht es Lemire langsam an. Wenig wird über die Protagonisten und die Story preisgegeben.
Bisher gibt es drei Akteure (vier, wenn man Johns Mutter mitzählen möchte) und einen Berg voller Fragezeichen.

Antworten zu aufgeworfenen Fragen bietet Lemire keine – nicht eine einzige! Aber er verleitet den Leser dazu, sich im Geiste mit dem Gesehenen und Gelesenen intensiver auseinanderzusetzen. Bei mir jedenfalls hinterließ fast jedes Panel / jeder Satz Spuren in meinen Gedanken. Mein Gehirn lief quasi auf Hochtouren, während ich The Passageway förmlich verschlang.
Zurück zu meinen anfänglichen Fragen. Nein, für mich haben sich Lemire und Sorrentino nicht selbst kopiert. Sie haben sich lediglich auf das besonnen, was sie besonders gut können und dieses vielleicht sogar noch verfeinert.
Vielleicht sind die Fragen auch zu früh gestellt, immerhin fehlen noch zwei Teile der Saga.

Meinung

The Passageway - The Bone Orchard Mythos - Cover
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Diese Graphic Novel ist sicherlich nicht für jeden geeignet, zu speziell sind die Zeichnungen, Farbgebung und ebenso das Storytelling. Mit jeder Menge Fragen konfrontiert zu werden und keine Antworten zu erhalten, ist auch nicht jedermanns Sache.
Meistens missbillige ich ein solches Vorgehen, allzu oft wirkt es, als wüssten die Macher selbst nicht, wohin die Reise gehen soll und verzetteln sich im Story-Geflecht. Doch hier habe ich den Eindruck, dass die beiden Macher ganz genau wissen, was sie wollen. Ich vertraue jedenfalls darauf.

Bist du ein großer Fan von Lemire, Sorrentino und Stewart bzw. Gideon Falls?
Wenn ja, ist The Passageway höchstwahrscheinlich genau dein Ding.
Aber sei gewarnt: Die lange Wartezeit, bis die beiden Folgebände Ten Thousand Black Feathers und The Tenement erscheinen, ist kaum auszuhalten. Ich wünschte, ich hätte gewartet, bis die ganze Saga veröffentlicht ist.

Dennoch: Für mich ist The Passageway über alle Zweifel erhaben und unangefochten mein Comic des Monats Juli 2022!
Bis jetzt haben Jeff Lemire und Andrea Sorrentino alles richtig gemacht, hoffentlich bleibt es auch dabei.

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The Passageway

The Bone Orchard Mythos

Veröffentlicht: 21.06.2022
Verlag: Image Comics
Seiten: 96
Sprache: Englisch

Geschrieben von Jeff Lemire
Illustriert von Andrea Sorrentino

Wertung:

95%

3 Kommentare zu „The Passageway • The Bone Orchard Mythos“

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