Snow Blind von Ollie Masters versöhnt mich; meine Comic-Auswahl im Mai war alles andere als zufriedenstellend. Viel habe ich gelesen, doch kaum ein Comic berührte mich. Einige waren so einfallslos oder so langweilig, dass ich nicht bis zum Schluss durchgehalten habe.
Zum Glück ist Snow Blind ein anderes Kaliber. Übrigens, es ist wirklich ein Zufall, dass zweimal in Folge der Comic des Monats von Autor Ollie Masters stammt.
All I ever dreamed of was a bullet in your head
Zitat aus Snow Blind
Plot
Teddy Ruffins ist ein junger Erwachsener, der noch bei seinen Eltern lebt. Die Einöde Alaskas hat ihm nichts zu bieten und er interessiert sich nicht für die Dinge, für die sich die anderen, allen voran sein Vater, begeistern. Teddy möchte einfach nur Bücher lesen. Dieses Verlangen ist sogar so stark, dass er nachts in die Stadtbibliothek einbricht, um in Ruhe lesen zu können. Dabei wird er jedoch erwischt und von der Polizei nach Hause gebracht. Sein Vater Bill ist schwer enttäuscht von ihm, nichts haben die beiden gemeinsam. Mutter Jen versucht zu schlichten, mit mäßigem Erfolg.
Das Familiendrama erreicht allerdings durch ein ganz anderes Ereignis seinen vorläufigen Höhepunkt (und davon wird es noch einige geben).
Jemand versucht, bei den Ruffins einzubrechen, doch der Familienhund schlägt Alarm und der Einbrecher flüchtet. Somit ist die Polizei erneut zu Gast, aber nicht nur sie, sondern
auch State Marshal Annie Stone. Offenkundig kennen sich Annie, Bill und Jen. Teddy kann teilweise das Gespräch zwischen seinen Eltern und Annie mit anhören.
Doch die Gesprächsfetzen ergeben keinen Sinn für ihn, und was macht ein State Marshal bei einem einfachen Einbruchsversuch? Teddys Fantasie wird enorm angeregt und er beginnt damit, sich eine eigene Geschichte zusammenzureimen.
Detektiv Teddy 🧸
Getrieben durch seine Neugier fängt Teddy an, dem Ganzen detektivisch nachzugehen. Sein Erspartes, das ihn eigentlich aus dem Kaff im Nirgendwo nach New York bringen sollte, geht für einen Mietwagen und allerlei Krimskrams drauf.
Er verkabelt das Telefon im elterlichen Zuhause, um es abzuhören, durchsucht das Ferienblockhaus und beschattet seinen Vater.
Liegt Teddy damit richtig, dass seine Eltern ihm etwas verheimlichen? Basiert sein ganzes Leben auf Lügen, die ihm seine Eltern aufgetischt haben?
Lemire-isches Déjà-vu
Ich habe es bereits kurz angedeutet: Als ich Snow Blind auswählte, achtete ich nicht darauf, wer der/die Macher sind. Schnell gewann ich den Eindruck, einen Comic von Jeff Lemire zu lesen.
Doch auf dem Cover steht Ollie Masters!?
Das ist natürlich als Kompliment zu verstehen; Masters und Illustrator Tyler Jenkins haben einen großartigen Job gemacht. Denn auch der Zeichenstil erinnert mich an Lemires Eigenkreationen. Eine weitere Parallele ist die kalte, monotone Kleinstadt-Einöde, die Lemire oft als Schauplatz dient. Was wohl dabei heraus käme, wenn Master, Lemire und Jenkins gemeinsam ein Projekt verwirklichen würden?
Meinung
Meine Güte, was habe ich Snow Blind von der ersten bis zur letzten Seite förmlich inhaliert!
Trotz der Schwere des Themas habe ich mich sehr wohlgefühlt beim Lesen. Die Zeichnungen und Farben ergeben eine so herrliche Atmosphäre, die sich einerseits wohlig warm anfühlt, aber auch stets das Thema der jeweiligen Szene einfangen bzw. transportieren. Tyler Jenkins werde ich mir merken!
Die Entscheidungen, die Teddy im Verlauf der Handlung trifft bzw. treffen muss sind gut nachvollziehbar. Auch wie er über seine Entscheidungen denkt, sie verarbeitet und darunter leidet, ist klar ausgearbeitet und ebenfalls nachvollziehbar dargestellt. Besonders die letzten Seiten haben es in sich und verlangen Teddy moralisch und emotional alles ab. Spätestens dann fängt man als Leser selbst an zu grübeln. Würde ich auch so handeln?
Snow Blind ist ein Familiendrama/Krimi mit Wohlfühlfaktor, und zu Recht und mit riesigem Abstand mein Comic des Monats Mai 2022!
Snow Blind
Veröffentlicht: 18.01.2017
Verlag: BOOM! Studios
Seiten: 111
Sprache: Englisch
Geschrieben von Ollie Masters
Illustriert von Tyler Jenkins